Drei Frauen und drei Männer stehen an den dunklen Wänden der quadratischen Raumbühne des Theaters Pfütze. Zwischen den Zuschauern, die an den Wänden entlang in zwei Reihen sitzen. Zum runden Podest in der Mitte des Raums führt aus jeder Ecke ein Steg. Jeder Steg wird dort, wo er das Podest trifft, von zwei Spieluhren flankiert.
So beginnt „Blasse Tinte, blauer Tag“, die aktuelle Musiktheaterproduktion des Nürnberger Theaters Pfütze in Koproduktion mit dem Stadttheater Fürth. Mehr Kulisse gibt es nicht. Die Zuschauenden sind auf ihre Phantasie angewiesen, die älteren unter ihnen mangels Übung wohl eher auf die Phantasie zurückgeworfen, um die Welt des Stücks vor ihrem geistigen Auge erstehen zu lassen. Nicht nur in diesem Sinne ist das Stück, das sich mit dem ehemals weltberühmten Kinderpädagogen Janusz Korczak und seinen Waisenhaus-Kindern im Warschauer Ghetto beschäftigt, eine Gemeinschaftsproduktion.
Hier kommen Text, Gesang, Bewegung, Tanz, Musik, Licht zusammen, um einen Stoff lebendig zu machen, der es in sich hat. Auf die Bühne gebracht werden Ausschnitte aus dem Leben Korczaks als Leiter seines Waisenhauses und dem Leben der Kinder in diesem Waisenhaus bis zum Tag der Deportation ins deutsche Vernichtungslager Treblinka. Korczak begleitete seine Kinder in den sicheren Tod. Dieser letzte Teil wird – wie vorher schon alle historischen Angaben – nur berichtet, nicht dargestellt. Im Zentrum stehen Leben und Mitgefühl.
Elisa Merkens, die Künstlerische Leiterin des Theaters Pfütze, kannte den Stoff und gab den Anstoß. Der Entstehungsprozess begann mit der Auswahl des Ensembles. Elisa Merkens, Dominik Vogl und Regisseurin Gineke Pranger achteten in dieser Phase sehr bewusst darauf, unterschiedliche Kompetenzen und Fertigkeiten zusammen zu bringen (s.a. auch das Podcast-Gespräch mit der Regisseurin). Schauspielerin Cali Kobel zum Beispiel hat ein Händchen für Bewegung und Choreographie. Sie freut sich, dass sie mit der Regisseurin „sehr Hand in Hand“ arbeiten durfte bei der Entwicklung dieses Teils.
Die künstlerische Leitung brachte so zwei Schauspielerinnen und einen Schauspieler, eine Musikerin (Cello) und zwei Musiker (Bassbariton, Akkordeon) zusammen. Alle sind sich einig, dass die Teamfindung sehr schnell und sehr einfach gelungen sei. Kobel erläutert: „Gineke hat ein gutes Fingerspitzengefühl, wer mit wem kann“. Und die Regisseurin hat die Schauspielenden zu Singenden und die Musizierenden zu Schauspielenden gemacht. Vor allem für Cellistin Sophia Schulz und Akkordeonist Vsevolod Khuotarinen war neu, dass sie als gleichwertig ins Schauspielen mit einbezogen wurden. Schulz: „Mir hat es sehr viel Spaß gemacht. Gineke hat uns behutsam herangeführt.“ Sänger Israel Martins bestätigt: „Man fühlt sich auf der Bühne sicher.“
Gute Stimmung beim Gespräch über die Entwicklung des Projekts (v.l.n.r.): Christof Lappler, Cali Kobel (beide Schauspiel), Vsevolod Khuotarinen (Akkordeon und Schauspiel), Sofia Falzberger (Schauspiel), Dominik Vogl (Komposition & Musikalische Leitung), Israel Martins (Gesang und Schauspiel), Sophia Schulz (Cello und Schauspiel)
Im April wurde erstmals gemeinsam geprobt. „Diese ersten Proben waren sehr notwendig, um aus der Idee ein Stück zu machen“, sagt Dominik Vogl, der Komponist und Musikalische Leiter des Stücks. Davor habe es noch eine Fülle an Text gegeben, aber nur Skizzen, und auch keine durchgängige Komposition. „Nach den zwei Wochen im April wussten wir, wo das Ganze hingeht, hatten ein gutes Gefühl für den Text“, sagt Israel Martins. Gesang und Cello waren für Vogl früh gesetzt, das Akkordeon nahm er dazu „wegen der jüdischen Tradition, die dieses Instrument hat“. Die Stücke, die Martins vorträgt, sind vertonte Gedichte der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer. Die Proben im September dienten dem Feinschliff.
Die Aufbereitung des Stoff war eine besondere Herausforderung, berichtet Schauspielerin Sofia Falzberger. Wie sehr dürfe man die harte Realität darstellen, wie viel müsse sein. Inwieweit solle man sich hineinleben, inwieweit seien welche Informationen zu transportieren. Ein Workshop mit der Leiterin des Anne-Frank-Zentrums Berlin hat ergeben, „dass es vor allem wichtig ist, das Leben zu schildern“, sagt Schauspieler Christof Lappler.
Während der ganzen Probenzeit waren die Akteure auf eine offenbar einmalige Weise in die Erarbeitung des Stücks eingebunden. Schauspielerin Kobel sagt, sie habe „noch nie erlebt, wie offen suchend Gineke mit uns umgegangen ist“. Schauspielerin Falzberger ergänzt, man habe sich auf die eigene Kreativität einlassen können. Dank dieses kooperativen Ansatzes der Regisseurin und der beeindruckenden Intensität des Spiels ist eine überwältigende Vielfalt von ineinandergreifenden Aktionen, Bewegungen, musikalischen Stücken und Textpassagen entstanden, die die Nacktheit des Bühnenraums komplett vergessen und die Welt des Waisenhauses mit unterschiedlichsten Personen lebendig werden lassen.
Mit der Konzentration auf das Leben enthält das Stück auch viel Leichtigkeit, bietet Raum für Empathie und Mitgefühl. Älteren Zuschauern ist das fürchterliche Ende von Anfang an klar, deshalb sind sie dafür wohl weniger empfänglich als die jugendlichen Gäste, die das Stück anspricht. Schauspielerin Sofia Falzberger sagt: „Die Jugendlichen sind mehr im Moment des Geschehens“ als die Erwachsenen, die die kommende Tragödie schon immer mitdenken. Kollege Christof Lappler bestätigt das: „Die Jugendlichen lassen sich auf die Handlung ein.“ Und damit haben sie den Erwachsenen wohl etwas voraus: „ Die Jugendlichen erkennen viele kleine Hinweise und Zusammenhänge besser“, sagt Cali Kobel. Alles richtig gemacht also.
Regisseurin Gineke Pranger vor dem Theater Pfütze
Mark Derbacher im Gespräch mit Regisseurin Gineke Pranger
Audio-Podcast, 22:207 Minuten:
Janusz Korczak, eigentlich Henryk Goldszmit (* 22. Juli 1878 oder 1879[1] in Warschau; † nach dem 5. August 1942 vermutlich am 6. oder 7. August im deutschen Vernichtungslager Treblinka, amtliches Todesdatum 7. August 1942[2]), war ein polnischer Militär- und Kinderarzt sowie Kinderbuchautor und bedeutender Pädagoge.
Bekannt wurde er vor allem durch seinen Einsatz für Kinder, insbesondere in einem Waisenhaus. Das Dom Sierot in Warschau wurde sein Lebensinhalt. Getragen von der jüdischen Gesellschaft Hilfe für die Waisen, nahm das Haus jüdische Kinder bis zum Alter von 14 Jahren auf. Korczak erhielt den pädagogischen Spielraum, um seine auf prinzipiellen Kinderrechten fußenden Ideen umzusetzen und nach neuen Wegen zu suchen, beispielsweise bei der Umsetzung eines Kinderrepublik-Modells. Sein wichtigstes pädagogisches Werk war „Wie liebt man ein Kind“. Seine Arbeit mündete in die UN-Kinderrechtskonvention.
Korczaks Liebe zu den Kindern seines Waisenhauses war so groß, dass er sie bei der Deportation durch die deutschen Besatzer in ein Vernichtungslager begleitete, obwohl das auch für ihn selbst den Tod bedeutete.
Wikipedia, Stand 11.11.22
Das Theater Pfütze e.V. ist ein freies Theater, das 1986 in Nürnberg gegründet wurde. Der Schwerpunkt der Inszenierungen der Zwei-Sparten-Hauses (Pfütze-Schauspiel und Musiktheater jungeMET) liegt in der Dramatisierung bedeutender Kinderromane, oft in Zusammenarbeit mit den Autoren. Daneben finden auch Eigenproduktionen sowie moderne Stücke Eingang in das Repertoire.
Lange Jahre war die Pfütze als mobiles Theater unterwegs, die erste feste Spielstätte wurde 1997 in Nürnberg-Gostenhof eröffnet. Im November 2007 konnte das Theater Pfütze einen Neubau im Zentrum der Stadt beziehen, der nach den Plänen des Architekten Volker Staab errichtet wurde. Das neue Haus bietet einen modernen Theatersaal mit Platz für 220 Gäste, ein Café im Foyer und einen großen Vorplatz zum Spielen und Feiern.
Die jungeMET ist eine Kooperation des Theaters Pfütze und des Stadttheaters Fürth mit dem Ziel, zeitgenössische Musiktheaterproduktionen gemeinsam, insbesondere für Kinder und Jugendliche, zu produzieren. Sie besteht seit 2012.
Vorstellungen im März 2023 Kulturforum Fürth:
23.3., 28.3. – 31.3. 10:00 Uhr
24.3 + 25.3. 19:00 Uhr
26.3. 18:00 Uhr
Karten und Reservierungen über das Stadttheater Fürth
Die Daten des Projektes finden SIe hier.
Wenn Sie zukünftige Stiftungsinfos gerne per E-Mail erhalten möchten, tragen Sie einfach Ihre Mailadresse ein auf unserer Kontaktseite.
Alternativ senden wir Ihnen die Stiftungsinfos auch in Papierform, wenn Sie uns Ihre Postanschrift mitteilen.