Der „Nürnberger Kulturrucksack“ ist ein erfolgreicher Dauerbrenner. Rund 1.650 Drittklässler an 18 Grund- und Förderschulen in Nürnberg erhalten jedes Jahr Einblick in Theater, Tanz, Musik und Kunst. Dafür besuchen sie Nürnberger Kultureinrichtungen wie z. B. das Opernhaus, Kindertheater und Museen. Profis bereiten sie auf die Besuche vor, im Anschluss verarbeiten sie das und probieren es selbst aktiv und künstlerisch aus. Was macht dieses 2009 eingeführte Programm so wertvoll, dass es zum Beispiel die Stiftung Persönlichkeit vom ersten Tag an fördert?
Wir lassen Kinder selbst über ihre Erfahrungen sprechen. Madeleine Schlotmann, Lehrerin an der Friedrich-Wilhelm-Herschel-Grundschule, und Brigitte Dreykorn, die Rektorin der Schule, berichten von der Wirkung auf die Kinder. Andrea Erl, künstlerische Leiterin des Theaters Mummpitz, hat den „Kulturrucksack“ ins Leben gerufen. Sie gibt einen Rückblick über Entwicklung und größte Herausforderungen. Helmut und Gerlinde Gierse erzählen, warum sie das Programm mit ihrer Stiftung Persönlichkeit mit dem derzeit fünften Förderbescheid seit Beginn kontinuierlich unterstützen.
Die Kinder der jetzigen Klasse 4a der Friedrich-Wilhelm-Herschel-Schule in Nürnberg, „der besten Klasse der Welt“, wie einer der Schüler betonte, konnten letztes Jahr im Rahmen des Programms Kulturrucksack drei Einrichtungen besuchen. Das Germanische Nationalmuseum, das Opernhaus und das Theater Mummpitz. Der eigentlich geplante Besuch der Tafelhalle musste wegen Krankheit ausfallen. Vor jedem der Besuche erhielt die Klasse professionellen Besuch in der Schule zur Einstimmung und Vorbereitung.
Unter den Fotos finden sich die spontanen Erinnerungen der Kinder.
Madeleine Schlotmann, die Klassenlehrerin, hat den Kulturrucksack schon ein paarmal miterlebt und sagt: „Ich genieße es jedes Mal. Man lässt sich immer wieder verzaubern.“ Ohne den Kulturrucksack wäre der Schulalltag ein bisschen grauer. Die Kinder bräuchten und seien dankbar für diese Anregungen.
Brigitte Dreykorn, Rektorin der Herschel-Grundschule, ist überzeugt von der nachhaltigen Wirkung des Kulturrucksacks. „Die Kinder haben die Chance, sich aus ihrem Alltag zu befreien und ihren Horizont zu erweitern.“ Sie würden kompetent gemacht, könnten lernen, was es außerhalb ihrer üblichen Wahrnehmung gibt. Auch Angehörige würden profitieren. Oft höre Dreykorn Fragen wie „Kann ich da auch mit meiner Mama hin?“ oder „Darf ich da auch ohne Schule hin?“ Und tatsächlich würden Kinder immer wieder zum Motor neuer Erlebnisse für ihre Eltern. Nicht selten höre sie den Satz: „Ich war jetzt mit meinen Eltern da.“ Wenn das keine nachhaltige Wirkung ist in eine diverse Stadtgesellschaft hinein.
Pandemie als größte Herausforderung
Andrea Maria Erl
Ähnliche Erfahrungen kann auch Andrea Maria Erl berichten. Erl ist Initiatorin und Leiterin des Programms Kulturrucksack (s.auch Stiftungsmagazin 2014, S. 10/11). Sie höre oft Dinge wie „Wir wollen nächstes Jahr wiederkommen. Und wenn das nicht über die Schule geht, dann halt alleine.“ Über die Bandbreite des Angebots könne man tatsächlich alle Kinder erreichen, für jedes sei etwas dabei.
Rückblickend sagt Erl, sie sei „manchmal selbst wirklich überrascht, wie das seit dem Beginn 2009 kontinuierlich mehr geworden ist.“ Innerhalb von sechs Jahren stieg die Zahl der teilnehmenden Kinder von 370 auf 1650. Ein Kraftakt, der nicht möglich gewesen wäre ohne gedeihliche Kooperation. „Die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Stellen in Verwaltung und Schulen hat sehr gut ineinander gegriffen.“
Mittlerweile habe sich weit herumgesprochen, dass es mit dem Kulturrucksack ein attraktives Angebot für Kinder und Lehrkräfte gibt. Jedes Jahr kämen neue Anfragen, ob man mitmachen dürfe. „Leider können wir weitere Aufnahmen weder organisatorisch noch finanziell stemmen“, sagt Andrea Erl mit Bedauern. Und der Kulturrucksack solle langfristig an den Schulen bleiben, weil er so nicht nur etwas mit den Kindern, sondern auch mit der Einrichtung mache.
Die größte Herausforderung seit Beginn des Programms war die Corona-Pandemie. „Zuerst dachte ich, jetzt bricht uns der Kulturrucksack weg“, erinnert sich Erl. Aber mit viel Einsatz und Kreativität und den guten Kontakten zu den Schulen sei es gelungen, mit den Kindern in Kontakt zu bleiben. „Im Theater Mummpitz haben wir pro Aufführung zehn Kinder im Raum gehabt. Damit alle Kinder das Stück sehen konnten, haben wir quasi durchgehend eine Aufführung nach der anderen gegeben.“ Darüber hinaus haben die Mummpitz-Mitarbeitenden ein Studio aufgebaut und begonnen, Sendungen zu produzieren.
„Dieses Schuljahr 2022/23 ist insofern ein besonderes Jahr, als jetzt sogenannte "Corona-Kinder", also Kinder, die in den letzten beiden Jahren coronabedingt keine kulturellen Ausflüge unternehmen konnten, jetzt in der dritten Klasse erstmals solche Ausflüge machen dürfen.“ Erl berichtet, dass die Kinder als Erstbesucher die unterschiedlichen Angebote und vor allem das Theater ganz anders wahrnehmen. „Für viele ist alles, was sie auf der Bühne sehen, vollkommen real. Sie gehen auch in jedem Moment 100 Prozent mit, buhen oder klatschen spontan.“
Die Kinder seien richtiggehend ausgehungert gewesen. Auch bei den Besuchen des Museums habe es größeres Erstaunen gegeben als je zuvor. Vor diesem Hintergrund sei auch die Wertschätzung der Lehrkräfte für den Kulturrucksack weiter angestiegen. Zusammenfassend sagt sie, es sei wahnsinnig anstrengend gewesen, das Angebot in der Coronazeit aufrecht zu erhalten, aber es habe sich gelohnt. Das zeigten die Reaktionen der Kinder und der Lehrkräfte. Grund genug zu sagen: „Ich bleibe dran und ich höre nicht auf.“
Selbstportraits aus der Klasse 3a – vor Ort gezeichnet beim Besuch des Germanischen Nationalmuseums:
Vier Fragen an langjährige Unterstützer:
Frau Gierse, Herr Gierse, was hat Sie vor 15 Jahren bewogen, den Kulturrucksack als finanzielle Unterstützer mit aus der Taufe zu heben?
In mehreren Gesprächen hatte uns seinerzeit Frau Erl ihr Konzept überzeugend erklärt. Wir sind dann mit einer Förderung für zunächst ein Jahr eingestiegen.
Was sehen Sie als den Hauptnutzen des Kulturrucksacks?
Die Kinder der 3. Jahrgangsstufe erhalten vier Angebote aus den Bereichen Theater, Tanz, Musik und Kunst über das Jahr verteilt. Dabei erleben sie z.B. im Theater Mummpitz ein Theaterstück mit professionellen Schauspielern und probieren sich selber aktiv und künstlerisch im Theaterspielen aus. Eine professionelle Vorbereitung rundet das jeweilige Angebot ab. Die vier Angebote sind unabhängig von den Vorlieben der Lehrer bzw. der Eltern. Die gesamte Klasse ist interaktiv und mit allen Sinnen in der Auseinandersetzung mit dem Geschehen mit einbezogen – ob Museum, Tanz, Theater oder Orchesterkonzert.
Wie erhalten Sie Rückmeldung zu den Aktivitäten des Kulturrucksacks?
Wir sind im persönlichen Austausch mit den Verantwortlichen des Theaters Mummpitz, unter anderem mit Frau Erl, und wir besuchen immer wieder Veranstaltungen des Programms. Gründlichen Einblick erhalten wir im strukturierten Projektabschlussgespräch, das bei unserer Stiftung Standard zum Abschluss eines Förderzeitraumes bei jedem Projekt ist.
Es gilt eher als ungewöhnlich, ein Projekt oder Programm als Stifter mehr als drei Jahre zu fördern. Warum halten Sie dem Kulturrucksack im nunmehr 14. Jahr die Stange?
Leuchtturmprojekte sind in den seltensten Fällen nachhaltig. Uns ist aber bei den Dingen, die wir fördern, genau die Nachhaltigkeit wichtig. Im Bildungsbereich gelingt es auch im 21. Jahrhundert nicht, weg von der Projektitis zu kommen. Nicht nur in Nürnberg fehlt es an einem kulturpolitischen Bildungskonzept, das alle Kindern aller Altersstufen vertraut macht mit dem kulturellen Angebot in der Region. Ein Grundschullehrer bringt es auf den Punkt: Nicht nur 17, sondern alle Grundschulen sollten allen 3. Klassen den Kulturrucksack zugänglich machen. Solange das nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe übernommen wird, helfen wir dabei, dieses Defizit möglichst nachhaltig zu lindern.
Alle von der Stiftung Persönlichleit geförderten Projekte des Theater Pfütze finden SIe hier.
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